Die geschichtliche Entwicklung des Schmerzverständnisses
Um 1925 konnte man mittels des Fortschrittes in der Elektroabteilung differenzieren, dass Nervenbahnen eine unterschiedliche Leistungsgeschwindigkeit haben.
1969 wurden von Charles Sharrington Schmerzrezeptoren mit den dazugehörigen Leitungsbahnen nachgewiesen. Ca. 1980 fand man heraus, dass man durch eine gezielte Reizung eines Schmerzrezeptors eine exakte Schmerzwahrnehmung auslösen kann. Daraufhin wurde noch intensiver nach dem Phänomen „Schmerz“ geforscht wo es zu einer Differenzierung von verschiedenen Schmerzformen kam.
Definition von Schmerz nach der international association for the studies of pain (IASP)
„Schmerz ist ein unangenehmes Gefühls- und Sinneserlebnis, das mit aktueller oder drohender Gewebeschädigung verknüpft ist oder mit dem Begriff einer solchen Schädigung beschrieben wird.“
Warum reagieren die Menschen bzw. Lebewesen mit Schmerz?
Die Sinneswahrnehmung „ Schmerz“ ist der erste (primitivste) Reflex, der angeboren ist und bis zum Lebensende erhalten bleibt. Diese angeborene, physiologische Wahrnehmung ist eine Schutzreaktion des Körpers, damit das Überleben der Menschen bzw. Tiere gesichert ist. „ Schmerz“ ist also keine negative „Einrichtung der Natur“, sondern eine unbedingt lebensnotwendige Empfindung.
Warum wurde die Schmerzphysiotherapie für Physiotherapeuten/innen entwickelt?
Es gibt in Deutschland ca. 13 Millionen sogenannte „chronische Schmerzpatienten“ (die Dunkelziffer ist weitaus höher). Die meisten dieser Betroffenen können Jahrzehnte lange Leidensgeschichten hinter sich haben. Ständige Besuche bei verschiedensten Ärzten sind charakteristisch für diese Personengruppe. Fatalerweise kommt es bei chron. Schmerzpatienten oft zum Schmerzmedikamentenmissbrauch (=Abusus), oder zum erhöhen Konsum von Alkohol oder Drogen. Auch Schlaftabletten werden häufig konsumiert, da auf Dauer der Schlaf-Wachrhythmus gestört ist. D.h. die Betroffenen haben Einschlaf- und Durchschlafprobleme.
Patienten mit chron. Schmerzen sind oft einer Vielzahl von Faktoren ausgesetzt:
Depression, Rückzugsverhalten, Angst und Verzweiflung sind nur einige Folgen. Hinzu kommt häufig Mobbing am -oder gar der Verlust- des Arbeitsplatzes, woraus sich eine Lebensunzufriedenheit resultiert. Nicht selten endet dieser Teufelskreis von Überforderung, Abhängigkeit und Missbrauch von Medikamenten und ähnlichen in der Frühverendung. Diese Tatsache bedeutet einen erheblichen Folgeschaden für die allgemeine Wirtschaftslage in Deutschland.
Wann spricht man von chronischen Schmerzen?
Man spricht von chronischen Schmerzen, wenn diese über einen Zeitraum von 3-6 Monaten bestehen.
Schmerzphysiotherapie:
Es handelt sich bei der Schmerzphysiotherapie um eine nichtmedikamentöse Therapieform, die von einem dafür speziell ausgebildeten Therapeuten mit benötigter Zusatzqualifikation und Abschluss eines Examens ausgeübt werden darf. Diese Therapieform wendet man an um chronische Schmerzzustände zu behandeln. Die Betroffenen brauchen demnach professionelle Hilfe, die sie durch psychiatrische und psychologische nichtmedikamentöse Therapieformen erlangen können, sowie durch aktive ergänzende Therapieverfahren.
Eine aktive Therapie kann unter anderem Sportphysio-, Ergo-, Kunst-, Musiktherapie oder Osteopathie sein.
Die Schmerzphysiotherapie ist als eine Therapiedisziplin entwickelt worden um den Betroffenen Patienten auf lange Sicht gesehen zu helfen!
Oft haben diese Patienten eine langjährige Odyssee, gekennzeichnet durch Dauerbesuche bei verschiedensten Fachärzten oder Rehamaßnahmen, hinter sich. Diese bringen meist nicht den ersehnten Erfolg. Die Patienten zeigen häufig ein multimorbides Beschwerdebild, welches charakterisiert ist von Begleiterkrankungen.
Die Schmerzphysiotherapie hat sich zum Ziel gesetzt diesen Teufelskreis des chronifizierten Schmerzbildes zu durchbrechen: Sie setzt nicht da an, wo der Schmerz ausgelöst wird, sondern geht auf Ursachenforschung. Auch wenn der Schmerz in einem bestimmten Bereich wahrgenommen wird, muss dieser Bereich nicht die Ursache dafür sein. Der Schmerztherapeut behandelt nach einem sogenannten „Ebenensystem“, das heißt:
- a) lokale Ebene Schmerzbereich
- b) fasziale Ebene
- c) segmentale Ebene
- d) vegetative Ebene
- e) viszerale Ebene
- f) psychoemotionale Ebene
- g) energetische Ebene (psychoenergetische Ebene)
a) lokale Ebene:
diese Ebene muss sehr sorgfältig untersucht werden um abzuklären ob der Schmerzauslöser nur an der lokalen Schmerzstelle liegt, oder ob mehrere Ebenen betroffen sind. Wenn sich bei der Diagnostik herausstellt, dass der Schmerz explizit an der Schmerzstelle auch entstanden ist (Schmerzauslöser und Schmerzstelle liegen übereinander), dann ist auch eine lokale Behandlung an der Schmerzstelle ausreichend. Sollte sich herausstellen, dass dem nicht so ist, muss man auf den weiteren Ebenen zusätzlich untersuchen. Wichtig zu wissen ist, dass eine Therapie an der lokalen Ebene nur Sinn macht, wenn der Schmerzauslöser auch genau auf dieser lokalen Ebene liegt. Wenn nicht, müssen die weiteren Ebenen zusätzlich untersucht werden. Um einen anhaltenden Erfolg zu erreichen.
Untersuchung:
Die einzelnen Untersuchungsabschnitte die dieser Ebene zugeordnet sind, erstrecken sich von der Untersuchung / Behandlung des Fußes, der Untersuchung / Behandlung der Kniegelenke, der Hüfte und des Beckens der Wirbelsäule, der Schultergelenke, der Armgelenke und der Hände. Hierzu werden Techniken aus der manuellen Therapie, der Osteopathie, Cyriax und der Biomechanik angewandt.
b) segmentale (fasziale) Ebene:
Definition „Faszie“: die Faszien werden dem Bindegewebe zugeordnet = dünne Bindegewebshüllen, die eine Verbindung schaffen über sogenannte Faszienbahnen von den Füßen, über den Rumpf bis hoch zu dem Kopf und zu den Armen. Diese Faszien sind aber auch störanfällig die Faszien ziehen sich normalerweise 8-12x / Minute zusammen. Sie stehen mit dem vegetativen Nervensystem in Verbindung. Bei länger anhaltendem Stress (psychisch oder körperlich) kommen dieser Rhythmus und das System durcheinander, sodass sich die Faszien häufiger als 8-12x / Minute kontrahieren. Eine mögliche Folge dieser Störung können unruhige Beine („Restless-Legs-Syndrom“) sein.
Die Untersuchung und Behandlung dieser Ebene beruht sich auf die fünf Prinzipien der Osteopathie:
1. Struktur und Funktion
2. Selbstheilungskräfte des Patienten
3. Der Körper als Einheit betrachtet
4. Durchblutung
5. Die ganzheitliche Betrachtung des Patienten
Mit einer oder zwei Händen wird die Faszie lokal untersucht. Globale Untersuchung werden über Techniken der Osteopathie (z.B. Zwerchfell) durchgeführt
c) segmentale Ebene:
Diese beinhaltet das zentrale Nervensystem und das Rückenmark, sowie das periphere Nervensystem (-> dieses leitet Informationen unter anderem in der Rumpf, in die Arme und Beine) und die Hirnnerven.
Zu dieser Ebene gehören auch Muskelbereiche, Hautareale, Nervengeflechte (zum Beispiel Sonnengeflecht), sowie motorische (für Bewegung zuständig) und sensible Nerven, die sogenannten Spinalnerven.
Die Behandlung der segmentalen Ebene erfolgt durch Griffe aus der manuellen Therapie und Osteopathie. Die Untersuchung der Wirbelbewegung und Wirbelbeweglichkeit, der Rippenbeweglichkeit und der Halswirbelsäulenbeweglichkeit ist zunächst Priorität, anschließend werden die Motorik und die Sensibilität in den einzelnen Wirbelsäulenabschnitten getestet.
d) vegetative Ebene:
Diese Ebene bezieht sich auf das vegetative Nervensystem, das bei jeder chronischen Schmerzerkrankung beeinflusst wird. Die Hautaufgabe des vegetativen Nervensystems besteht in der Aufrechterhaltung der Homöostase, das heißt eines Gleichgewichts im Organismus zum Beispiel eine Gleichgewichtige Regulation zwischen Hormonen und des Nervensystems. Die Schmerztherapie kann ihren Ansatz nur über die Ansteuerung von Sympathikus und Parasympathikus finden. Das vegetative Nervensystem steht auch in Verbindung mit dem Immunsystem und dem endokrinen System (z.B. Drüsenfunktion, Hormonsteuerung, etc.)
Die Behandlung auf vegetative Ebene ist unverzichtbar im Bezug auf die Heilung.
Die Behandlung vollstreckt sich vom Kopf bis zum Hals, von der Schulter bis zur Hand und vom Beckenkamm bis zum Fuß. Man beginnt mit einem Abtasten der einzelnen Körperabschnitte von Kopf bis hin zu den Füßen. Sollten in diesem Bereich Narben vorhanden sein werden diese gegebenfalls auch behandelt. Anschließend erfolgen eine visuelle Beurteilung der jeweiligen Bindegewebszonen, sowie eine Testung der Gewebeverschieblichkeit und der Sensibilität. Es werden zur Behandlung der vegetativen Ebene werden Techniken aus der Bindegewebslehre, der Traditionellen chinesischen Medizin, der Fußreflexonentherapie, sowie aus der Heilpraktikerlehre angewandt.
e) viszerale Ebene:
Diese beinhaltet die Untersuchung und die Behandlung der Organe. Dabei kann der Therapeut unterschiedliche Reflexsysteme nutzen wie zum Beispiel die Ohrenreflexonen, Fußreflexzonen und Bindegewebszonen. Welche Reflexsysteme ihre Anwendung in der Schmerztherapie finden, hängt vom Patienten ab. Nutzen von neurolymphatischen Reflexzonen.
Die Behandlung wird mit schmerzfreien Griffen aus der Lymphdrainage- und der Fußreflexzonentherapie, sowie der Heilpraktikerlehre ausgeführt. Auch sanfte Griffe aus der klassischen Massage und der Bindegewebsmassage wie zum Beispiel Friktionen gehören zu der Behandlung der viszeralen Ebene.
f) energetische Ebene:
in der Schmerztherapie spielt die energetische Ebene eine wichtige Rolle, denn auch im Bezug auf die Energetik kann es zu Dysfunktionen und Störungen kommen. Die energetische Ebene kann alle anderen Ebenen beeinflussen. Über die energetische Ebene können sowohl lokale Schmerzstellen, als auch faziale und vegetative Störungen beeinflusst werden.
Um die energetische Ebene zu behandeln, werden Techniken aus der traditionellen chinesischen Medizin, aus der Heilpraktiker-Lehre und der Fußreflexonenbehandlung angewandt.
g) psychoemotionale Ebene:
Das limbische System (Gefühlszentrum im Gehirn) hat eine entscheidende Bedeutung im Bezug auf körperliche Reaktionen und deren Schmerzbewertung. Die Schmertherapie ist eine Behandlungsmöglichkeit bei psycho-emotionalen Funktionsstörungen. Sie findet Ihre Anwendung auch in der Behandlung von Stresserkrankungen. Hierbei spielt auch das Verständnis um neurophysiologische und hormonelle Zusammenhänge eine große Rolle. Die Schmerztherapie kann auch eine wertvolle Behandlungsmöglichkeit bei Schwerkranken und sterbenden Patienten sein (Palliativ-Medizin). Zusätzliche Anwendungsgebiete der Schmerztherapie finden sich in der Traumatologie (unter anderem auch begleitend zu psychotherapeutischen Therapieformen)
h) erweiterte Ebene:
dazu zählen hormonelle und endokrine (das Drüsensystem betreffend) Zusammenhänge; Dysfunktionen und Krankheiten. Aber auch Zusammenhänge zwischen den Organen des zentralen Nervensystems und dem endokrinen Systems. Auch Grundlagen des Immunsystems spielen in der Schmerztherapie eine entscheidende Rolle.
Die Schmerztherapie kann mit einem üblichen KG-Rezept durchgeführt werden.